Wie geht’s vor Ort weiter? – Was gerade in unserem Nicaragua-Projekt passiert.

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Auf einmal war da noch eine Krise, gegen die gekämpft werden musste. Ohnehin schon stark von den Auswirkungen der Klimakrise gebeutelt und von der Regierungskrise im Land politisch gelähmt, muss in Nicaragua nun noch mehr Kraft aufgebracht werden. Corona kennt keine Grenzen.
Unser Projekt läuft natürlich weiter – nur eben etwas anders, als noch vor ein paar Wochen.

 

 

Im Strudel der Informationen. Oder eben auch nicht.

Egal wo man hinschaut: Corona hat den Alltag von uns allen verändert. Nach wie vor trudeln scheinbar ununterbrochen Neuigkeiten ein. Manch eine:r hat bewusst den Liveticker der tagesschau im Blick, um keine Information zu verpassen. Tageszeitungen haben Corona permanent auf Seite 1. Jeden Morgen eine Bundespressekonferenz und jeden Abend im Fernsehen ein Extra zur Lage im Land. Andere wählen in dieser Zeit bewusst den Abstand zu Nachrichten. Nicht jede neue Zahl erfahren wollen. Nicht jedes Gerangel um Maßnahmen mitbekommen. Wir können selbst entscheiden, wann wir uns wie informieren oder es auch einfach mal sein lassen. Was ein Privileg! Zumindest in Ländern wie hier in Deutschland. Aber in Nicaragua? Wo der Präsident mitten in der Coronakrise wochenlang untergetaucht war und sich dann wie aus dem Nichts zurückmeldete mit den Worten „Das Coronavirus hat Gott geschickt, weil die Menschheit den falschen Weg beschreitet und in Atomwaffen investiert.“?
Offiziell gibt es kaum bestätigte Corona-Fälle in Nicaragua. 15 sollen es sein. Während in den Nachbarländern die Zahlen deutlich höher liegen. In Honduras über 1000, in Costa Rica gut 700. Die Daten aus Nicaragua sind mehr als fragwürdig, die Dunkelziffer vermutlich deutlich höher. Wer nicht testet, kann auch nichts finden. Das bisherige Ausmaß ist nicht abschätzbar, denn das öffentliche Leben geht größtenteils weiter wie bisher. Großveranstaltungen finden weiterhin statt. Dringend einzuleitende Schutzmaßnahmen werden von der Regierung konsequent ignoriert.
Doch es gibt auch Gegenwind in den größeren Städten. Bürgerbewegungen formieren sich und fordern Social Distancing. Kirchen und Verbände schließen sich dem an. All das findet aber vor allem dort statt, wo Menschen die Chance haben, sich zu informieren – abseits der weitgehend von der Regierung regulierten Presse.

 

Information und konkrete Hilfestellung in einem scheiternden Staat: Die neuen Aufgaben der Projektmitarbeiter:innen vor Ort

Die Kleinbauernfamilien in unserem Projekt fallen nicht unter die Gruppe der Menschen, die mühelos Zugang zu gesicherten Informationen haben. Viele von ihnen leben auf dem Land und die Zahl derer, die ein Smartphone besitzen und stabilen Internetzugang haben, ist überschaubar. Die meisten der Farmer:innen leben in Mehrgenerationenhäusern. Häufig teilen sich mehrere Menschen einen Schlafraum. Wie soll man hier Abstand halten? Sympathie zu zeigen, indem man während eines Gesprächs die Hand des:der anderen nimmt, ist in Nicaragua völlig normal. Die körperlich intensive Arbeit der Kleinbauern und -bäuerinnen und die Tatsache, dass viele von ihnen über 50 Jahre alt sind, verstärken die Anfälligkeit für potentielle Auswirkungen des Virus.
Hinzu kommt, dass sauberes, fließendes Wasser in den ländlichen Regionen alles andere als selbstverständlich ist. Und, wenn hier jemand krank wird? Dann ist der Weg hin zu medizinischer Versorgung extrem beschwerlich. Sehr schlechte Straßenverhältnisse verlängern die ohnehin lange Fahrt bis zum nächsten Krankenhaus in einer größeren Stadt massiv – wobei ohnehin nur wenige der Farmer:innen überhaupt ein Auto haben. Geschweige denn eine private Krankenversicherung. Das staatliche System, das theoretisch jeder:m Bürger:in Zugang zu medizinischen Leistungen gewährt, ist absolut marode. Inwiefern die Ärzte:innen und Krankenhäuser gegenüber dem Virus überhaupt gewappnet sind und wie viele Beatmungsgeräte im Notfall zur Verfügung stehen? Darüber bewahrt die Regierung Stillschweigen.
Für unser Projekt bedeutet all das: Information und Prävention stehen gerade im Mittelpunkt! Und außer Frage steht, dass die Gesundheit und Sicherheit der Menschen vor Ort oberste Priorität hat. Normalerweise sind es genau diese Menschen, die durch soziale Interaktion Unglaubliches bewegen. Ob in Workshops zu Pflanztechniken, bei Farmbesuchen zur Messung des Baumwachstums oder bei Gruppentreffen in den Baumschulen zum Vorbereiten der Setzlinge: Hier arbeiten Menschen mit Menschen. Und genau da liegt in der momentanen Situation die große Herausforderung. Aber auch eine ganz große Chance.

Die Projektmitarbeiter:innen haben innerhalb kurzer Zeit eine Reihe von Maßnahmen entwickelt und umgesetzt, um die Ausbreitung von Corona in den ländlichen Gemeinden Nicaraguas zu verhindern und natürlich auch, um sich selbst zu schützen. So ein Projekt umfasst viel Planung und Arbeit im Hintergrund. Daher arbeiten fast alle, die sonst gemeinsam im Büro sitzen, schon seit über einem Monat von zuhause aus. Gruppentreffen finden über’s Telefon statt und wo persönliche Treffen unvermeidbar sind, wird Abstand gehalten. Am Eingang des Büros hängen Hinweise zu regelmäßigem Händewaschen; Desinfektionsmittel und Schutzmasken wurden umgehend beschafft und stehen ausreichend zur Verfügung. Also praktisch genau wie bei uns in Köln und Bergisch Gladbach. Wichtig ist und bleibt aber vor allem auch der Besuch der nicaraguanischen Kleinbauernfamilien. Die technischen Mitarbeiter:innen des Projekts sind regelmäßig vor Ort bei den Familien, beraten zur Pflege der Bäume, überprüfen die Entwicklung der Wälder und begleiten neue Pflanzungen. Ihr enger Kontakt zu den Farmer:innen ist einer der Schlüssel des Projekts. Als konstante und vertrauenswürdige Ansprechpartner:innen sind sie das Zentrum des Netzwerks. In der Corona-Krise kommt dieser Beziehung nun eine noch wichtigere Bedeutung zu. Die Mitarbeiter:innen wurden geschult, wie sie am besten über das Virus informieren und über Sicherheitsmaßnahmen aufklären. Sie erklären, warum die Distanz zu anderen Menschen in diesen Zeiten lebenswichtig sein kann und wie die Farmer:innen Ansteckungsrisiken minimieren können.
Bei diesen Besuchen gilt seit Ausbruch der Pandemie, dass nur noch alleine zu den Farmen gefahren wird, um engen Kontakt mit anderen Mitarbeiter:innen zu vermeiden.
Diese Strategie hat sich bisher ausgezahlt. Die Menschen schätzen den persönlichen Austausch, das gegenseitige Rücksichtnehmen und sind dankbar für das regelmäßige Informieren über die Entwicklungen der Pandemie – abseits fehlender oder regierungsgefärbter Nachrichten.
Und nicht zu vergessen an dieser Stelle: Die zuletzt gepflanzten Bäume gedeihen prächtig und werden sorgsam gepflegt, damit aus ihnen gesunde Wälder entstehen.

 

Wachsam bleiben

Noch kann niemand abschätzen, wie lange welche Maßnahmen notwendig sein werden. Wie sich Fallzahlen entwickeln und wann hoffentlich der globale Trend dahin geht, dass die Zahl der genesenen Menschen immer weiter steigt. Ob in Deutschland, Nicaragua, einem unserer anderen Projektländer, aber auch sämtlichen anderen Staaten. Die Corona- und die Klimakrise betreffen uns alle. Daher müssen wir jetzt noch sorgsamer und umsichtiger sein. Gegen Krisen zu kämpfen kostet viel Energie. Aber diese Energie wird sich ganz sicher noch über Jahrzehnte auszahlen. Solidarität darf keine Grenzen kennen.

 

(von Anja Heimrath)

 

 

 

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